Prinzip Hoffnung: eine undeutliche Sehnsucht

 

 

"Die Welt ist heutzutage unerträglich geworden, schlimmer als das 19. Jahrhundert. Das 19. Jahrhunder ist etwa 1955 zu Ende gegangen, meine ich. Vorher da gab es noch Hoffnung. " ( Henri Cartier-Bergson zitiert nach John Berger).

 

Ich weiß nicht warum ausgerechnet 1955? Vielleicht hat jeder in seinem Leben so einen Moment, wo er spürt: das wars. Es wir nix mehr aus deinen Hoffnungen. Eine andere Welt ist nicht mehr möglich. Ein Bruch oder ein Riss. Was dann?

 

 

Ich habe mal in dem Buch Philosophie des 20. Jahrhunderts geblättert und bin bei Bloch hängengeblieben. Das Prinzip Hoffnung und Geist der Utopie sind die Hauptwerke des Philosophen Ernst Bloch.

Eine gelingende Selbstbegegnung findet nach Bloch nur da statt, wo man sich im Hoffen auf die Zukunft richtet. Diese Zukunft wird im Wachtraum entworfen, ist aber keine weltflüchtige Träumerei. Die vielfältigen Ausdrucksformen der Hoffnung findet Bloch in der Kunst, z.B. im ausdrucksvollen Überschwang einer Linie, in der sich die Lebendigkeit des Lebens manifestiert. Sie finden sich auch in der Bewegtheit der Musik, in bunten Versprechungen des Jahrmarkts, Wunschbildern des Kinos oder der Entdecker- und Reiseliteratur. Alle diese Ausdrucksformen sprechen nicht deutlich sondern kommen aus einer undeutlichen Sehnsucht zustande. Sie sagen nicht, welcher Hoffnung sie sie verdanken. Weil der Mensch seiner Lebendigkeit nur im Ausdruck begegnen kann, sind Utopien Bilder einer Welt, in der es nichts Faktisches mehr geben kann, sondern alles immer wieder Ausdruck wird.

 

Auch Natur versteht Bloch als Ausdruck. An der Natur kann der Mensch für sich „ausdrücklich“ werden . ( Was bedutet das? ) Die Möglichkeit des Ausdrucks hängt immer davon ab, dass es für die Lebendigkeit ein nicht !!! zu bewältigendes Gegenüber gibt. Dieses Gegenüber muss in sich zur Ausgestaltung immer neuer Formen fähig sein. Da die Natur ständig neue Formen herausbildet, ist sie eine Kraft, die sich an keiner Wirklichkeit erschöpft.

 

John Berger: Mit Hoffnung zwischen der Zähnen

 

Man kann nicht über Ästhetik sprechen ohne das Prinzip Hoffnung, schrieb der Kunstkritiker John Berger. Für Berger gibt es in der Natur eine ästhetische Empfindung, die den Menschen für einen kurzen Augenblick in die Position Gottes bringt – ohne den Anspruch ein Schöpfer zu sein. Diese Empfindung entsteht, wenn die Entwicklung von Naturformen und die Entwicklung der menschlichen Wahrnehmung an eine Punkt zusammentreffen, an dem sie sich gegenseitig bestätigen. Obwohl die Vorstellung von Schönheit sich im Laufe der Geschichte ändert und von Kultur zu Kultur unterschiedlich ist, gibt es einige Dinge, die alle Kulturen in allen Zeiten als schön empfunden haben: bestimmte Blumen, Bäume, Felsformen, Tiere, den Mond und fließende Gewässer. Wenn wir eine Blume schön finden, dann fühlen wir uns in eine Gesamtexistenz miteinbezogen und zwar um so mehr, wie wir in einer Welt leben, die unser Dasein nicht !!! bestätigt.

 

 

Die Flut digitaler Bilder setzt sich heute nach Berger über das Existierende hinweg, denn diese Bilder haben sich von den festen Körpern getrennt. Im Spektakel des heutigen Systems ist an die Stelle des Lebens, der Schöpfung und der Existenz ein Spiel getreten, an dem niemand teilnimmt, aber alle zuschauen. In dem Maße, wie ein Mensch versucht, das Existierende zu malen ist das für Berger Widerstand. In dem Maße, wie Kunst Schöpfung nachahmt und die Möglichkeit des Wiedererkennens dauerhaft zu machen versucht, ist Kunst transzendental und mit einem Gebet vergleichbar.

 

 

Heute morgen fand ich vor dem Haus zwei Schnecken, die aussahen, als würden sie sich küssen. Sie waren unzertrennlich. Vielleicht Ausdruck einer undeutlichen Sehnsucht. Ich war so fasziniert, dass ich vergas, ein Bild zu malen. Vielleicht morgen. Hoffentlich.

 

Also üben: wach zu träumen ( gar nicht so einfach), ständi neue Formen suchen und malen!