Pasolini - Das erste Evangelium Matthäus

Er war Melancholiker, Provokateur, Kommunist, Filmemacher und aus heutiger Sicht ein Prophet. Erinnerungen an Pasolinis Film Das erste Evangelium Matthäus und das Verschwinden der Glühwürmchen.

 


Pasolinis Sehnsucht nach dem Sakralen

 

„Wie kommt es, dass ein Marxist wie Sie so viel Inspiration aus Dingen wie Gospel und Zeugnissen des Christentums zieht?“ wurde Pasolini diesem Interview gefragt. „Meine Sicht der Dinge in der Welt, der Objekte ist keine natürliche oder sekuläre. Ich sehe die Dinge immer ein bißchen wie ein Wunder. Für mich ist jedes Objekt ein Wunder. Meine Sicht der Welt ist religiös aber nicht rigide oder sektiererisch.“

 

In Rom entdeckte Paolini das Subproletariat als revolutionäre Gegengesellschaft ähnlich der frühchristlichen Gesellschaft als Vermittler einer unbewußten Botschaft der Demut und Armut im Gegensatz zur bürgerlichen Selbstgenügsamkeit. Diese Erfahrung verwandelte sein Verständnis des Kommunismus. Alberto Moravia beschreibt diesen Kommunismus als nicht wissenschaftlich, aufklärerisch oder marxistisch, sondern als populistisch, romantisch, anthropologisch, in archaischer Tradition verwurzelt und zutiefst emotional. Pasolini selber erklärte in dem Gedicht Una disparate vitalità, dass er Kommunist sei, weil er konservativ sei. „Ich glaube, wenn ich so sehr auf dem Heimweh nach dem Sakralen insistiere, dann deshalb, weil ich den alten Werten verbunden bleibe. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie das Opfer einer künstlich beschleunigten Entwicklung, eines ungerechtfertigt verfrühten Vergessens sind.“

 

Sehnsucht nach dem Sakralen war die Triebkraft der frühen Filme Accatone, La Ricotta, Mama Roma und Das erste Evangelium Matthäus. Elemente seiner Filme sind vereinsamte Helden, Leben ohne Hoffnung, der Wunsch nach Erlösung, Schweigen und christologische Motive.

Das erste Evangelium Matthäus

 

 

„Ich möchte den Dingen – so weit wie möglich – wieder ihre Weihe geben, sie remythologisieren. Ich wollte nicht zeigen wie das Leben Christi wirklich war. Mir lag an ihrer Geschichte und ihrer 2000-jährigen Übersetzung, weil es diese 2000 Jahre Christentum sind, die seine Biografie mythologisiert haben, die sonst fast unbedeutend gewesen wäre.“

 

Pasolini drehte Das erste Evangelium Matthäus mit Laiendarstellern aus Apulien, Lukanien und Kalabrien wortgetreu auf der Grundlage des Matthäusevangeliums in der archaischen Landschaft um Matera. Weder in Palästina, Syrien und Jordanien sah er einen geeigneten Drehort, weil die Moderne und der Kapitalismus schon zu viel zerstörerische Einflüsse ausgeübt hatten. In Matera fand er endlich jene geheimnisvollen und präindustriellen Gesichter und Kulissen.

 

Die Faz schrieb über Das erste Evangelium Matthäus: „Der Film […] ist vielleicht das einzige wirkliche Wunder des Bibelkinos, eine Geschichte von armen Bauern und Fischern, aus deren Mitte der Sohn Gottes erwächst, ein Wanderprediger und Rebell, den Irazoqui mit einer zornigen Entschlossenheit spielt, die kein anderer Leinwand-Jesus je wieder erreicht hat.“

Im Kontrast zu diesem zornigen Jesus steht allerdings eine zutiefst melancholische Musik, die von der Maurerischen Trauermusik Mozarts über russische Volkslieder, Gospel, kongolesischen Rhythmen und immer wieder Bachs Matthäus-Passion (Wir setzen uns in Tränen nieder) reicht.

 

Als Reaktion auf den Film warfen die Neofaschisten Pasolini vor, eine Quelle des christlichen Abendlandes zu beschmutzen, linken Kritikern war der Film nicht radikal genug. Bei der Sondervorstellung für die römischen Konzilsväter soll es dagegen zwanzig Minuten stehende Ovationen gegeben haben. 1995 wurde Das erste Evangelium Matthäus in die Filmliste des Vatikans aufgenommen, die insgesamt 45 Filme umfasst, die aus Sicht des Heiligen Stuhls besonders empfehlenswert sind.

 

Giorgio Agamben spielte mit 22 Jahren in dem Film übrigens die Rolle des Apostels Philippus.

 

-> Ostern als Aufbruch. Dr. Eugen Drewermann hat uns eine Osterbotschaft geschickt , die es in sich hat . 1.4.2021

 

Milo Rau: Das Neue Evangelium

Unter dem Titel "Das Neue Evangelium"  hat Milo Rau Pasoloni´s Film in Matera reinszeniert.

„In unserer Adaption des Evangeliums sollen alle Rollen von den Verlierern der heutigen Weltwirtschaft gespielt werden: von den durch die Getreideimporte in Konkurs gegangenen süditalienischen Bauern und den in Italien gestrandeten Flüchtlingen aus Afrika“ ( Milo Rau).

Mehr über  "Das Neue Evangelium" auf der Webseite des -> International Institute of Political Murder.

 

Der Film lief 2020 in einer Nebensektion des Festivals von Venedig. „Das ist ein sehr kluger, konstruierter und hybrider Film. Eine realistische Passionsgeschichte und zugleich eine politische Dokumentation und eine Hommage an Pier Paolo Pasolinis Film "Das 1. Evangelium – Matthäus‘.“ so Deutschlandfunk Kultur.

 

Milo Rau ist Theaterregisseur, Essayist und Wissenschaftler. In der Berner Zeitung berichtet er über seine Erfahrungen beim Dreh seines "Jesus Films" in Süditalien:

 -> "Dem Fischer hätte es gefallen."  Wenn man einen Jesus-Film dreht, fliegen einem alle Herzen zu.

 

Rivolta della dignita - Aufstand der Würde

 

Mit dem "Aufstand der Würde" haben Sagnet, Rau und seinTeam eine breite Front gegen die fremdenfeindliche Politik der italienischen Regierung gebildet.  Zum ersten Mal kämpfen italienische Kleinbauern und Migranten Seite an Seite und zum ersten Mal wird ein Film über Jesus zu einer echten politischen Kampagne. Ein Protestmarsch zum "Aufstand der Würde" vereinte Hunderte von Flüchtlingen, Bauern und Aktivisten.

Das Manifest, aktuelle Filmausschnitte und Medienberichte über die Aktivitäten der Bewegung und alle weiteren Informationen finden Sie auf ->der facebook Seite La rivolta della dignita

Revolte der Würde - Das Manifest ( Pdf)

Vor mir der Süden ( Dokumentarfilm von Pepe Danquart / D 2020)

Die Senioren aus dem süditalienischen Matera sind stolz auf Pasolini. Er machte 1964 den Ort mit dem Film DAS 1. EVANGELIUM – MATTHÄUS weltbekannt. © Neue Visionen Filmverleih
Die Senioren aus dem süditalienischen Matera sind stolz auf Pasolini. Er machte 1964 den Ort mit dem Film DAS 1. EVANGELIUM – MATTHÄUS weltbekannt . © Neue Visionen Filmverleih

1959 unternahm Pasolini mit einem Fiat 1100 eine 3000 km lange Reise entlang der Küste Italiens, um die Orte, Strände, Menschen und Veränderungen zu beschreiben.Dabei entdeckte er in Kalabrien und Apulien auch die Orte und Gesichter, die eine wichtige Rolle in seinem späteren Film "Das erste Evangelium Matthäus" spielen sollte.

 

In VOR MIR DER SÜDEN begibt sich der deutsche Filmemacher Pepe Danquart auf Pasolinis Spuren.  Hier die Ankündigung des Verleihs zum Film:

Die damalige Umrundung unternimmt auch Danquart als fliegender Flaneur im Fiat Millecento und blickt auf Umbrüche – nicht nur in einem Land, sondern auf einem ganzen Kontinent. So viel lässt sich über Europa erzählen, schaut man nur einmal genauer auf sein Eingangstor: Italien. Wo früher der Massentourismus die Menschenströme durch die Ferienorte schleuste, überrennen nun Millionen Individualreisende die Schauplätze des historisch-mediterranen Italien. Wo einst Aufbau herrschte, strömen nun Waren und Dramen an die Küstenorte der Apennin-Halbinsel. Zwischen Dolce Vita und nostalgischer Endzeitstimmung.

 

 -> Vor mir der Süden - Infos, Interview mit Pepe Danquart, Trailer zum Film

 

Literatur zu Pasolini:

 

Überleben der Glühwürmchen von Georges Didi-Hubermann. München, 2012.

Pier Paolo Pasolini Freibeuterschriften. Hrsg. Peter Kammerer. Berlin, Neuausgabe 1998.

Der Chor in unseren Köpfen oder Pier Paolo Pasolini. John Berger. In: Mit Hoffnung zwischen den Zähnen. Berlin, 2008.

 

Weblink:

 

->Pier Paolo Pasolini - unkonventionell religiös. Klaus Englert. Deutschlandfunk.

->Pasolini: ein wütender Prophet.  Glühwürmchensuche in Italien von Pier Paolo Pasoloni über Milo Rau zu anderen Heiligen und Wundern ( von mir ) gleiches Thema nochmal anders. Freitag-community