Monopoli

 

Als ich im Jahr 2014  zum ersten Mal für eine Woche nach Monopoli kam, konnte ich mich nicht an dieser Stadt sattsehen. Schon der Blick vom Strand aus auf die alte Hafenmauer: im Vordergrund das türkisblaue Wasser, im Hintergrund leuchten die Häuserwürfel wie in einem Aquarell von Paul Klee. Nur ist es nicht so bunt wie das Bild und auch nicht wie der Rest von Italien. Die sandsteinfarbenen oder weißgekalkten Häuser erinnern an Griechenland.

 

 

Monopoli wurde in der Antike von den Griechen gegründet. Als die benachbarte größere Siedlung Egnazia 545 n. Chr. zerstört wurde, flüchteten die Einwohner hierher und nannten das bis dahin kleine Dorf "Monopoli" (die einzige Stadt). In den nächsten 1000 Jahren wurde Monopoli von Byzantinern, Arabern, Normannen, Staufern, Spaniern, Habsburgern und Bourbonen erobert. Aber Apulien war im Mittelalter ein Ort, an dem nicht nur Kriege stattfanden, sondern auch ein Ort, an dem Religionen, Kulturen und Kunstformen miteinander verschmolzen. Man sagt, im südöstlichen Mittelmeer liegen die Wurzeln der abendländischen Kultur. 1530 wollten die venezianischen Herrscher Monopoli zu einer Baronie erheben, was von der Bevölkerung jedoch vereitelt wurde. Moopoli kaufte sich mit 51.000 Golddukaten los und wurde eine freie Stadt.

 

In der Altstadt zähle ich auf einer Fläche von ca. 200 m x 300 m siebzehn kleinere und größere Kirchen. An einigen Häuserwänden verwittern die Reste von Wandmalereien christlicher Motive, die Bögen und Hauswände sind ein beliebter Platz für kleine Schreine, die der Madonna della Madia gewidmet sind, deren Ikone der Legende nach auf eine Floß Monopoli erreichte. Einige Bilder der Madonna sind verschleiert, um ihr Mysterium zu verstärken, vor anderen stehen Blumen, Kerzen oder kleine Holzschiffe. Heiligenverehrung gehört zum das byzantinischen Erbe Apuliens.

 

Am Rande der Altstadt steht die Kirche Santa Maria Amalfitana. 1059 strandeten Seefahrer aus Amalfi in Monopoli und beteten nach ihrer Rettung aus einem Sturm in einer Höhle basilianischer Mönche. 100 Jahre später errichteten sie über der Grotte eine romanische Basilika. Die barocke Kathedrale Maria Santissima della Madia (1742–72) ist das Prunkstück der Stadt. Außer der religiösen Architektur gehört das Castello Carlo V, im 16. Jahrhundert von den Spaniern zum Schutz gegen Piraten erbaut, zu den Sehenswürdigkeiten der Altstadt. Der barocke Palazzo Palmieri aus dem 18. Jahrhundert, ehemals Asyl und Kunstschule, steht seit Jahren leer. „Das sind doch nur tote Steine.“ lautet das Urteil eines deutschen Touristenpärchens, das aus Rom an die Strände Apuliens geflüchtet ist. Für mich aber ist Monopoli eine Perle.

 

"Monopoli ist viel schöner als Polignano", platzt es aus mir heraus, als ich mit Freunden aus Apulien in der Altstadt treffe. Vincenzo gibt mir recht: " Es ist schöner und historischer", aber er fügt hinzu: "Vor 30 Jahren waren die Altstädte Ghettos, nicht so schön wie heute. Da haben nur arme Leute gewohnt." Ich will das genauer wissen. " Was heißt nicht so schön? " "Naja, meint er, vielleicht waren sie schön, aber wir haben es nicht so empfunden".

 

„Facciamo un giro!“ (Drehen wir eine Runde) Zusammen schlendern wir durch Altstadt, die immer blitzblank geputzt ist und in der es oft nach Seife riecht. Es gibt keine Spuren von Müll, Elend oder Schmutz, aber an vielen Häusern hängen Schilder mit der Aufschrift „vendesi“ (zu verkaufen). Die Zahl der frisch renovierte B&B, Bars oder Streetfoodläden hat eindeutig zugenommen. Monopoli, bis vor kurzem noch ein ruhiges Städtchen, wird chic. Der Vico San Martyre wäre in dem Brettspiel Monopoli wohl die Schlossallee: es ist die Flaniermeile der Stadt. Die Häuser haben Meerblick und das nobelste Hotel der Stadt liegt auch hier. Der lungomare endet am Hafen, der mit seinen azurblau gestrichenen Fischerbooten tatsächlich aussieht, als wäre er eigens für Postkartenfotos erfunden.

 

Die Hafenmauer ist wie in Bari voller Liebeserklärungen. „Ich suche dich nicht, ich warte nicht auf dich, aber ich vergesse dich nicht.“ Oder „Mit dir an der Seite ist das Leben weniger falsch.“ In der gesamten città vecchia herrscht Autoverbot außer für Anwohner und Lieferwagen, wie die kleine dreirädrige Ape. Frisches Obst und Gemüse wird direkt von der Ladefläche verkauft. Es gibt viele Sackgassen, die in kleinen Nachbarschaftshöfen enden und drei größere Plätze. Auf der Piazza Giuseppe Garibaldi befindet öffentliche Bibliothek und der "Circolo fra Marittimi" (Verein zwischen den Meeren). Unter einer Sonnenuhr sitzen immer ein paar ältere Männer, die scheinbar nichts tun. Auf der Piazza Palmieri wird Fussball gespielt, wobei die Kirchenmauer des Convento S. Teresa als Torwand dient. Mädchen sind auch dabei. Das Schild "Fussballspielen verboten" ignorieren die Kinder und von den Erwachsenen beschwert sich niemand, bis irgendwann nach 22.00 uhr plötzlich eine resolute Mamma erscheint, einem der Jungs eine Ohrfeige verpasst und fragt: "Weißt Du eigentlich wie spät es ist? Morgen fängt die Schule wieder an."

 

Am Abend spazieren von der Portavecchia aus immer mehr Menschen in die Altstadt und es wird eng in einigen Gassen. Es gibt aber auch Winkel, in die sich kaum ein Mensch verirrt und hier fühle ich mich plötzlich in eine Parallelwelt versetzt. Hinter den Gardinen hört man Fernseher oder Menschen in der Küche hantieren. Andere Gassen wirken völlig ausgestorben.

 

Bei unserem Bummel sehen wir viele Menschen in kleinen Grüppchen zusammensitzen, Karten spielen oder einfach nur aufs Meer sehen. Vincenzo versteht nicht, was daran für mich bemerkenswert ist. Dabei hatte er mir ein paar Tage vorher noch von einer englischen Touristin erzählt, mit der eine Runde durch sein Dorf gemacht hat. Sie blieb noch ein bißchen allein auf der kleinen Piazza, wo in jedem Dorf die Alten sitzen und die Kinder spielen und als sie zurückkam, war sie völlig aufgelöst. So was hatte sie noch nie gesehen. Sie hat geweint, meinte er. Vielleicht weil es in England ein Ministerium für Einsamkeit gibt und etwa 200.000 Senioren höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten haben, denke ich, aber ich sage nichts. 

 

Bevor wir uns verabschieden zeigt Vincenzo mir das Appartement, das ein Freund ihm für eine Woche überlassen hat. Ein modernes Appartement mit Ausblick auf die Kirche gegenüber. „Guck dir das an, wunderschön. Vier Zimmer - hier hätten 30 Migranten Platz.“ Für diese Bemerkung würde ich ihn am liebsten umarmen. Am Morgen hatte ich in der Zeitung gelesen, dass einer der Flüchtlinge von dem Rettungsschiff Diciotti in Monopoli aufgenommen wurde. Das war 2018.

 

Inzwischen sind 5 Jahre vergangen. Monopoli ist heute einer der großen Touristenmagneten Apuliens. " Ihr habt die ganze Stadt verkauft ( wie Berlin) ." denke ich. Viele Plätze, auf denen früher Kinder spielten, sind von Restaurants in Beschlag genommen worden. An einigen Mauern steht noch zu lesen: "Der grüne Pass ist Abfall." Freundschaften sind während Corona zerbrochen. Aber Nachts, wenn der Rummel nachlässt, hat Monopoli immer noch eine stille Schönheit, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Und vielleicht ist die jetztige Krise für eine so alte Stadt nur eine Phase.

 

Monopoli bei Nacht