Auf dieser Reise gerate ich Kontakt mit der Männerwelt Italiens.
"Sono io. Das bin ich." denke ich, während ich mit dem Fahrrad in einer Vollmondnacht die Strada Nazionale herauffahre. Erschöpft, allein, aber glücklich. Ohne den Vollmond, der die Olivenbäume in unwirkliches Licht taucht, wäre es stockduster, denn weder mein Fahrrad hat Licht, noch gibt es hier Straßenlaternen. "Das bin ich. Wie bin ich bloß hier hergekommen?"
Ich kam hierher, weil ich im kühlen März im Itriatal in der Landwirtschaft gearbeitet hatte und mich dabei so wohl gefühlt habe, dass ich es jetzt im Mai bei schönerem Wetter wiederholen möchte. Ich hoffe auf Sonne und auch auf ein paar erholsame Tage am Strand. Diesmal sollte aber alles anders kommen. Schon als ich ankomme, fühle ich mich irgendwie fehl am Platz.
Auf den ersten Blick wirkt Carovigno Mitte Mai wie ausgestorben, vor allem in der Mittagszeit zwischen 13.00 und 17.00h, wenn Siesta ist. Auf den zweiten Blick sieht man vor allem ältere Männer, die in Gruppen oder auch alleine auf den Bänken entlang des Corso Vittorio Emanuele oder in den schattigeren Gassen sitzen. Ich weiß nicht, wie ich ihre Blicke interpretieren soll.. irgendwo zwischen Neugier und Misstrauen? In den ersten Tagen hier komme ich mir ein bißchen vor wie ein Alien und bin eingeschüchtert. Nach ein paar Tagen habe ich mich aber daran gewöhnt und ich werde sogar von den Männern angesprochen, ob ich nicht ein paar Fotos von ihnen machen will. In die Sportbar, in der ich gerne Championsleague geguckt hätte, traue ich mich aber nicht - als einzige Frau.
Meine Arbeit besteht im wesentlichen darin, die Blätter auf dem Grundstück meiner Gastfamilie zusammenzufegen. Zuerst denke ich mir nur, es soll nach dem Winter alles hübsch hergerichtet werden für die Sommergäste, die hier inmitten von Olivenhainen Urlaub machen können. Aber nachdem ich alles fein säuberlich zusammengefegt habe und auf andere Arbeiten, wie Obst ernten, Gemüse pflanzen oder ähnliches hoffe, beginnt das Fegen von vorn. Dann und wann ein bißchen Unkraut jäten und wieder fegen... Die grobe Arbeit ist schon getan, erklärt mir mein Chef, das ist nichts für Frauen. Wenigstens muss ich nur den halben Tag arbeiten und habe viel Zeit, durch den Ort zu flanieren.
Der "corso" ist so etwas wie die Flaniermeile, die fast jeder Ort in Apulien besitzt. Meistens heißt er Corso Vittorio Emanuele (benannt nach dem ersten König des vereinten Nationalstaates Italien 1861) oder Corso Umberto II (dem letzten König Italiens).
Als ich meinen Chef frage, warum ich hier fast nur Männer sehe, erklärt er mir, die Frauen seien arbeiten auf den Feldern oder in den Putzkolonnen, die die Ferienhäuser der Touristen reinigen. Er selbst ist vor vielen Jahren aus Mailand hierhergezogen. Das Leben als Manager war ihm irgendwann zu stressig. Also kaufte er sich ein Grundstück mit Olivenbäumen und war einer der ersten, die biologisches Olivenöl herstellten. Dei Attitude des Chefs hat er beibehalten - redet ständig von "seinen" Arbeitern. Seine Frau, eine wunderbare Köchin, bekommt jeden mittag einen Dankeskuss für das gute Essen. Oft behandelt er sie mit ziemlicher Herablassung, wenn sie z.B. eine Frage zu politische Ereignissen im Fernsehen stellt. Was für ein Chauvi, denke ich. Eine Chauvi ist für mich die bürgerliche Variante des Machos, also einer der sich für gebildet und kultiviert hält.
Vor Jahren, erzählt er, habe er sich mal den Spass erlaubt und zu seiner erwachsenen Tochter gesagt: "Zieh mal einen kurzen Rock an und dann schlendern wir über den corso." Da hätten aber alle Augen gemacht. Heute sei das natürlich ganz anders. Ein anderes mal fahren wir durch die Olivenhaine und er zeigt mir ein Grundstück, das von zwei Frauen bewirtschaftet wird. „Kannst du dir das vorstellen, zwei Frauen?“ fragt er mich. Ich weiß nicht genau, was daran so verwunderlich ist. Das Gefühl, in eine Männerwelt geraten zu sein, befremdet mich immer mehr..
Im Mai ist gerade Wahlkampf. Tagsüber fahren Lautsprecherwagen durch den Ort und kündigen an, welche Bürgermeisterkandidaten am Abend auf der piazza eine Rede halten werden. Erst betritt der Kandidat der kommunistischen Partei (die nicht mehr viel Zulauf hat) die Bühne, dann die neue Rechte, dann „Forza Italia“. Abends sind auch viele Frauen unterwegs. Das geht mindestens eine Woche lang so. Am Ende gewinnt „Forza Italia“ - die Berlusconi Partei.
Außerdem erlebe ich die Marianischen Monate. Im Laufe der Frühlingsmonate und im Frühsommer machen Statuen und Bilder, die der Madonna gewidmet sind, ihre Runde durch den Ort. Insbesondere die Kirchengemeinde San Pietro Apostolo feiert im Mai die Madonna von Fatima mit der Wallfahrt einer Statue, die Abend für Abend in verschiedenen Häusern aufbewahrt wird.
Die Fussballspiele habe ich dann allein auf meinem Zimmer geguckt und war ziemlich irritiert über die Rolle, die manche Frauen im Fernsehen einnehmen. Vor allen in Sportsendungen ( z.B. Tiki Taka) sitzen Frauen in sehr kurzen Röcken und tiefen Ausschnitten in der Talk-Runde, ohne während der Sendung ein einziges Wort zu sagen. Später habe ich gelesen, dass es ein Phänomen des von Berlusconi dominierten Fernsehens sei. Es gibt sogar ein Wort dafür: "venilismo". Als "velina" werden Showgirls bezeichnet, die keine andere Funktion haben als Talkshows zu dekorieren. In seinem Buch "Italien- geliebtes Chaos" schreibt Gianluca Falanga, dass nicht nur Berlusconis TV-Kanäle, sondern auch die öffentlich rechtlichen Sender ein extrem vulgäres und armseliges Frauenmodell verbreiten.
Italienische Männer auf das verbreitete Frauenbild anzusprechen, ist nach meiner Erfahrung heikel. Entweder das Thema wird lächelnd beiseite geschoben oder man fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und reagiert aggressiv. So schleuderte mir ein Bekannter den Satz entgegen "Du bist wie Salvini. Du redest und redest und machst ein Problem aus etwas, das keines ist."
Kurze Zeit vorher hatten wir uns noch über Salvini lustig gemacht, der verkündet hatte, er wolle keine reichen, deutschen Frauen mehr in Italien. Das war gegen die Rettungsaktion von Carola Rackete in Sizilien gerichtet.
Ich habe also mal recherchiert, woher kommt der Machismo.? In der italienischen Wikipedia findet ihr nur zwei Sätze zu dem Thema: Neben der Kontrolle der Frau geht es beim machismo demnach vor allem um die Demonstration von männlicher Stärke, darum zu zeigen, dass der Mann mit schwierigen Situationen umgehen kann. Der deutsche Wikipedia ist da um einiges ausführlicher. Demnach geht es nicht nur um Kontrolle, sondern Unterwefung der Frau und um die ständige Suche nach sexuellen Herausforderungen zum Beweis der männlichen Potenz. Als kulturelle Ursprünge der Ausformung des (lateinamerikanischen) Machismo gelten die christlich-abendländische Spaltung des Frauenbildes in Heilige und Hure. Diese Spaltung und die dazugehörige Doppelmoral gibt es aber nicht nur im Katholizismus, sondern auch im (amerikanischen) Puritanismus. ( Ich denke da z.B. an die Dystopie "Report der Magd" von Margaret Atwood, der seine Motive in der Doppelmoral des amerikanischen Puritanismus und der Lebensborn-Ideologie des Dritten Reichs findet.
Gemäss dem «Global Gender Gap Report 2020» liegt Italien auf Platz 76. Was die wirtschaftliche Einbindung und das Gehalt von Frauen angeht auf Platz 117.Das Bewusstsein für das schlechte Frauenild scheint in Italien allerdings langsam zu wachsen:
Dicktatorship ( 2019 ) ist ein Dokumentarfilm von Gustav Hofer und Luca Ragazzi.
Sie nehmen ihre Heimat Italien genauer unter die Lupe, die auf eine lange Geschichte von Machos und Diktatoren zurückblickt. Die drei definierenden Ps - Penis, Power und Politik - im Blick, untersuchen sie die fünf Säulen der Gesellschaft : Bildung, Medien, Kirche, das politische System und Familie. Der kurze Trailer hier beginnt mit einer Penisprozession. Ich denke mal das ist eine Art flashmob, aber sicher bin ich nicht.
Alessandro Piva, der in Apulien eine Art Kultregisseur ist, hat zuletzt den Dokumentarfilm Santa subito (2019) über einen Femizid gedreht. Das Thema Frauenmord ist in
Italien immer wieder ein Thama. Oft sind es eifersüchtige Ehemänner oder Freunde, die ihre Frauen töten. Bis in die 60er Jahre waren Verbrechen (gegen Frauen) aus Leidenschaft straffrei.
Allerdings habe ich zuletzt gelesen, Deutschland sei in Europa Spitzenreiter was Femizide betrifft und hier wird vergleichsweise wenig darüber gesprochen.
Mit seinen Äusserung über seine Ko-Moderatorinnen hat der Moderator des Sanremo-Festivals jetzt (Januar 2020) eine Empörungswelle in den sozialen Netzwerken ausgelöst.
-> Die Italienerinnen haben genug vom alltäglichen Sexismus
Die kleinen und großen Machos kehren weltweit zurück, scheint es. -> Die kleinen Machos sind zurück arte Doku über Machismo unter Jugendlichen in der Schweiz ( online bis 22.2)
Der Sänger Rainhard Fendrich hat den Macho einst so besungen:
Er hat einen Hintern wie Apollo
In seinen Hüften schwingt Elan
Hat einen Charme wie Rene Kollo
Und einen Blick wie Dschingis Khan
Du bleibst dein Leben lang ein Dodel
Hat ihn der Lehrer oft geneckt heut ist er Unterhosen-Model
Ein Macho und ein Lustobjekt
Interessanter weise wird er hier zum Lustobjekt, nicht die Frau. Lange Zeit wurde der Macho als Auslaufmodel hierzulande eher etwas belächelt. Aber da die Machos neuerdings im rechten und populistischen Zusammenhang eine Renaissance erleben, ist das Phänomen Macho ein ernsthafteres geworden. Kein reines Machoproblem ist der Frauenhass als Hass gegen alles Verweichlichte oder Fremde, den Klaus Theweleit in seinem Buch "Männerfantasien" beschreibt. Das Buch ist inzwischen ein Klassiker der Gewalt- und Faschismusforschung, der gerade wieder neu aufgelegt wurde.
Nicht verwechseln sollte man einen Macho wohl mit einem Latin Lover. Ein Latin Lover ist, wie der Anglizismus schon verrät, ein Begriff, der aus dem englischsprachigen Raum kommt und dem Frauenheld südeuropäischer oder lateinamerikanischer Herkunft verliehen wurde. Tatsächlich kommt der Protyp des Latin Lovers aus Apulien: Rudolph Valentino, geboren 1895 in Castellaneta (Apulien), einer der beliebtesten Schauspieler der Stummfilmzeit. Valentino war fast immer in der Rolle des südländischen Liebhabers zu sehen und eines der ersten männlichen Sexsymbole. Später war es dann Marcello Mastroianni, Alain Delon, wer noch? Mit einem Macho hat ein Latin Lover vielleicht die Anzahl weiblicher Eroberungen gemeinsam, nicht aber die Abwertung des Weiblichen oder des Verletzlichen. Meiner Meinung nach ist der Latin Lover aber eher ein Klischee aus dem Kino oder Literatur ( Don Juan, Casanova) als ein realer Mann. Ich bin da ganz bei D.H Lawrence, der sicher kein Romantiker war und der schrieb: Wie können Männer dieses Verlangen haben bis zum Überdruß wahllos herumzuschlafen? Welch ein Unglück wie Don Juan zu sein....
Es geschieht aus Überdruss, wie in Fellinis La Dolve Vita.
Beim Fegen verließ mich nach zwei Wochen jeglicher Ehrgeiz. Ich trat in den Bummelstreik. Nach einer weiteren Woche kündigte mein Chef an, wir würden jetzt in sein Sommerhaus umziehen und ich könnte dann nach 20.00 uhr nicht mehr das Grundstück verlassen, weil die Tore geschlossen würden. Das war für mich der Zeitpunkt zu gehen. Ich kaufte mir eine billiges Zelt und verbrachte die restliche Zeit auf einem Campingplatz am Meer.
Es gab Momente, in denen ich mich so intensiv mit allem verbunden gefühlt habe, wie ich es nirgendwo anders erlebt habe. Einmal stand ich inmitten des wunderschönen Gartens und merkte, wie mir die Tränen kamen, ohne genau zu wissen warum. Am Ende habe ich den Traum vom Auswandern, aber erstmal auf Eis gelegt, weil ich nicht mehr das Gefühl hatte, mich in diese Welt integrieren zu können. Und so ist es bis heute geblieben. Aber wenn man genauer hinguckt, begegnet er uns auch in Deutschland immer öfter, der Macho. Nur verstehe ich hier die Sprache und die Kultur besser, die dahintersteckt.