Albert Camus: Mittelmeer, Mensch und Revolte gegen das Absurde

 

Die zehn Worte, die Camus für die wichtigsten seines Lebens hielt, waren: der Sommer, das Meer, die Welt, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Schmerz, die Erde, die Mutter.

 

Apulien, 2014
Apulien, 2014

 

Geboren und aufgewachsen in Algerien, fühlte sich Camus in den intellektuellen Kreisen von Paris und New York nie wohl. Er galt als unverbesserlicher Romantiker des Südens.

Der Süden war für Camus Gegengift zu Europa, das seinen Schönheitssinn der Maßlosigkeit geopfert hat, schreibt Iris Radisch und sie urteilt wie viele andere, die Camus Geschichtsvergessenheit vorwarfen: „Sein Süden ist ein Mythos.“ ( -> Radisch in Die Zeit, 2009). In ihrer Camus Biographie meint sie allerdings, die Mittelmeerutopie sei die vielleicht letzte verbliebene Utopie des 21. Jahrhundert.

 

Franco Cassanos Buch „Der südliche Gedanke“ (1996) ist ein Versuch, Camus` Mittelmeerutopie wiederzubeleben. Ich habe versucht in dem Kapitel, das er Camus widmet, die zehn Schlüsselwörter zu finden.

 

Sonne, Meer, Wüste

 

„Im Zentrum meiner Arbeit steht eine unbesiegbare Sonne. Es ist nicht die religiöse Erleuchtung und nicht das Licht der Aufklärung, sondern das natürliche Licht der Sonne, die Licht spendet.“

 

Sonne, Licht und die Schönheit bedeuten für Camus mehr als Erholung oder Wellness, es sind welterschließende Kräfte. Ähnlich wie Nietzsche sieht Camus die Sonne als Heilmittel für alle Krankheiten der Sinne und des Geistes. Die Sonne als Reichtum und Fülle, die sich über einer Existenz ausbreitet, die an sich selbst glaubt.

 

Das Mittelmeer ist für Camus der Ort, an dem es am ehesten möglich ist „ ja “ zur Welt zu sagen: die Sonne, das Meer, die Liebe zur Schönheit und die griechischen Helden, die vom Kosmos herausgefordert und zugleich Teil von ihm sind. Der Norden, dem es an Licht und Wärme mangelt, hat nach Camus keine Tradition der Freundschaft mit der Welt. Der Norden sieht die Natur als etwas, das beherrscht werden muss, was zu einem Fehlen an Maß und Begrenzung führt.

 

Das griechische Herz unserer Zivilisation ist nach Camus durch die christlich jüdische Tradition überschattet worden, weil sie das Verhältnis von Mensch und Welt, Mensch und Natur überdramatisiert. Die Wüste ist der privilegierte Ort dieser Tradition, weil nur da wo das Leben extrem hart und Warten die einzige Dimension für Hoffnung darstellt ( wie es im Fall des frühen Christentums der Fall war), der Geist sich entwickeln kann.

 

Für Camus waren die großen Städte Orte, an denen der Welt ein Teil der Wahrheit amputiert worden ist. Die Natur, das Meer waren für ihn der Teil der Welt, der Dauer und Gleichgewicht schafft. „ Und wenn der Mensch Brot und Gerechtigkeit braucht und wir das nötigste tun, um diese Not zu befriedigen, er braucht auch pure Schönheit, weil es das Brot seines Herzens ist.“

 

Mensch, Elend, Schmerz

 

„Wenn Gott nicht existiert, ist nichts erlaubt.“ Wenn Gott nicht existiert ist das nicht gleichbedeutend mit Nihilismus, sondern es bedeutet eine größere Verantwortung. Camus stellt sowohl die Lehre des Christentums als auch die des Marxismus auf den Kopf: er ist der Geschichte ( dem historisches Denken, das am Ende auf eine Erlösung zusteuert) gegenüber pessimistisch, aber optimistisch gegenüber der Menschheit und ihrer Würde.

 

Dem deutschen Idealismus steht er mehr als skeptisch gegenüber. Das historische Denken, insbesondere die Philosophie Hegels, sollte den Menschen von der Unterdrückung zur Erlösung führen, für Camus aber ist es eine ähnliche Unterwerfung des Menschen wie in der Kirche vor dem Altar. Die Kritik an Hegel wendet sich gegen den Gedanken der unendlichen Formbarkeit des Menschen und ist eine Suche nach anderen Maßstäben als Effektivität. Geist und Bewußtsein werden nach Camus in Hegels Denken zu unrecht zu Helden der Geschichte und der Mangel an Maß bringt eine Hybris des Geistes hervor.

 

Für Camus ist das Leiden der Unschuldigen unvereinbar mit der Existenz eines gerechten allmächtigen Gottes. Daher ist seine Revolte eine metaphysische gegen das Leiden der Unschuldigen. Der Mensch in der Revolte ist für Camus ein Mensch der zuallererst „ nein“ sagt, aber er erschöpft sich nicht in diesem „nein“. Es führt zu einem Ja, das in der Wiederentdeckung dessen liegt, was Menschen vereint und dadurch ihre Fragilität verkleinert.

 

Erst aber durch die Begegnung mit dem Tod wird dieses „Ja“ zur Kultur, weil es keine Liebe zum Leben ohne Verzweiflung am Leben geben kann. Schönheit und Tod verfolgen sich gegenseitig. Das Maß/ Moderation ist nicht Balance und nicht die Auflösung eines Widerspruchs, sondern die Bejahung des Widerspruchs und der heroische Entschluss, dabei zu bleiben. Ein „trotz alledem“. Trotz der Sinnlosigkeit und Absurdität des Lebens entscheidet sich der Mensch mit Leidenschaft für die Welt und der Schmerz, den er spürt, ermöglicht es, den Objekten ihren Wert als Wunder wiederzugeben.

 

Exkurs Nietzsche: Das Dionysische ist nach Nietzsche die primäre, elementare, schöpferische Lebensmacht. Aber auch Schmerz, Lust, Stirb und Werde sind dionysische Elementargewalten. die grausam, heillos, gewalttätig und ungeheur sind. Dionysische Weisheit ist die Kraft, diese Elementargewalten auszuhalten. Apollon ist der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit, der Mäßigung, der Künste und der Individualität. Das apollonische Prinzip kann die dionysische Wirklichkeit abwehren, sublimieren, kanalisieren. Es beruht auf einem lebendigen: Trotzdem! (->mehr dazu)

 

Ehre

 

Der altmodisch erscheinende Begriff „Ehre“ ist ein Schlüsselbegriff in Camus´ Denken. Ehre vermittelt das Gefühl, zu einer menschlichen Gesellschaft zu gehören, wenn man in einer Welt lebt, in der es weder himmlische noch weltliche Rettung gibt. Was das Absurde nach Camus ausbalanciert, ist die Gemeinschaft von Menschen, die dagegen kämpfen. Wer gewählt hat dieser Gemeinschaft zu dienen, hat dem Dialog zu dienen, der gegen das Absurde geführt wird, gegen Falschheit oder Schweigen. So ist man frei mit anderen, was sich auch in den Schlagwörtern „solitaire et solidaire“ ( einzeln aber solidarisch ) ausdrücken lässt.

 

Revolte ist daher nicht nur der Wunsch nach Freiheit sondern auch die Anerkennung einer höheren Loyalität, gegenüber Menschen, die Camus große Seelen nannte ( z.B. Simone Weil oder Friedrich Nietzsche). Die einzige Überlegenheit, die Camus dem Christentum zuerkannte, war die Kraft des Beispiels für einen Lebensstil, wie ihn Christus und die Heiligen verkörperten. Freiheit ist für Camus an Ehre gebunden, weil sie sich sonst in ihr Gegenteil verwandelt und destruktiv wird.

 

 

Der absurde Mensch und die Revolte

Berlin
Berlin

 

„Mit dem Verlust der Geduld, mit der Ungeduld beginnt … eine Bewegung, die sich auf alles erstrecken kann, was vorher hingenommen wurde. Scheinbar negativ, da sie nichts erschafft, ist die Revolte dennoch zutiefst positiv, da sie offenbart, was im Menschen allezeit zu verteidigen ist. Der Revoltierende kämpft für die Unversehrtheit eines Teils seines Wesens. Er sucht zuvörderst nicht etwas zu erobern, sondern etwas durchzusetzen. Er verteidigt nicht was er hat, sondern was er ist.“ (Albert Camus)

 

Die Basis für den Widerstand ist nach Cassano :

1. Die Anerkennung von Endlichkeit, Begrenztheit: Der Tod begrenzt das Leben, Ehre die Freiheit. Ja das Nein.

2. Gemeinschaft

3. ursprüngliche Beziehung zur Erde, die für ihn im griechischen Herz unserer Zivilisation liegt: der klassischen Liebe zum Kosmos.

(->mehr dazu)

 

Der Mythos von Sisyphos

 

Der Mythos von Sisyphos ( 1942 ) kann als Manifest des Humanismus gelesen werden, das Camus in einer Zeit schrieb, in der ihn Armut, Krankheit und Krieg fast in den Selbstmord trieben. „Der absurde Mensch sagt ja und seine Mühsal hat kein Ende.“ Aber „ es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann." Die Absurdität der Welt erfordert Rebellion, nicht Selbstmord. Sisyphos gehört zu den antiken Rebellen gegen die Götter, der sein absurdes Schicksal durch Verachtung überwindet. Durch das ständige Heraufrollen des Steins, der immer wieder vom Berg herabrollt, protestiert er gegen seine Strafe. Der absurde Mensch ist ein Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt.  "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

 

Konkreter wird der Gedanke vielleicht, wenn Camus über Kreativität spricht: „ Für nichts arbeiten und schaffen, in Ton meißeln, wissen, dass sein Werk keine Zukunft hat, sein Werk in einem Tag zerstört sehen und wissen, dass das im Grunde nicht wichtiger ist, als für Jahrhunderte zu bauen – das ist die schwierige Weisheit, zu der das absurde Denken bevollmächtigt.

 

Philosophische Sonnenanbeter

 

Auch Karl Kerényi`s Betrachtung des griechischen Mythos sind geleitet von dem Wunsch, der Macht der Sonne den ihr gebührenden Platz in unserem Wissen und Bewusstsein zu verleihen. Um die Göttlichkeit der Sonne zu beweisen, beruft er sich u.a. auch auf die hymnischen Anbetungen der Sonne durch D. H. Lawrence. Lawrence meinte, der Mensch muss das Halsband persönlicher Gefühle abstreifen und zu seinem nackten Sonnenselbst zurück kehren.

 

„Unsere Sonne ist etwas ganz anderes als die kosmische Sonne der Alten, sie ist soviel mehr gewöhnlich. Wir mögen noch sehen, was wir Sonne nennen, aber wir haben Helios für immer verloren, und die große Scheibe der Chaldäer noch mehr. Wir haben den Kosmos verloren, indem wir aus der Verbindung mit ihm herausgetreten sind, und dies ist unsere größte Tragödie. Was ist unsere winzige Liebe zur Natur – Natur wie eine Person angeredet – im Vergleich zu dem großartigen Leben-mit-dem-Kosmos und mit dem Verehtsein-durch-den-Kosmos....“ ( Lawrence zitiert in Kerényi)

 

Karl Kereny: Töchter der Sonne

siehe auch D.H. Lawrence: Die Sonne ( Kurzgeschichte )

 

Der kalabrische Mönch Tomaso de Campanella beschrieb 1602 die Idee eines philosophischen Gemeinwesens unter dem Titel "Die Sonnenstadt" in Form eines Dialogs zwischen einem genuesischen Schiffskommandanten und dem Großmeister der Hospitaliter. Der Genuese ist beim Großmeister zu Gast und erzählt von seiner letzten Reise und dem Aufenthalt im Sonnenstaat mit Fragen zu Alltag, Politik und Lebensweise der „Solarier“ . Campanella ´s Sonnenstadt ( auch mit Sonnenstaat übersetzt) gilt als dritte große Sozialutopie in der beginnenden Neuzeit (neben Thomas Morus Utopia und Francis Bacons Nova Atlantis). -> "Die Sonnenstadt" ( hier nachzulesen )

 

Mehr zum Thema Entfremdung

 

Der Begriff Entfremdung hat eine lange Tradition.  Es geht dabei um Entzauberung ( Max Weber), Verdinglichung ( Lukasz) Anomie und latente Aversion gegenüber Menschen (Durkheim, Simmel) oder die marxistischen Auffassung der Entfremdung durch Arbeit. Ich denke außerdem an Schriftsteller wie Franz Kafka, Samuel Beckett, D.H Lawrence, Filmemacher wie die Coen Brüder, Jim Jarmusch, Werner Herzog, David Lynch, Michelangelo Antonioni.